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Souveränität beginnt mit dem Handwerk

Zukunftsvision einer sich selbstversorgenden Stadt

 

von Anke Kähler

 

Januar 2027, im Hannoverschen Stadtteil Linden-Süd feiert die Stadtteil-Bäckerei Back‘s an ihr fünfjähriges Bestehen. Die Bäckerei wurde als weitere lokale Werkstatt des Stadtteils kurz nach dem europaweiten Aktionstag des Transition Movements im Januar 2022 eröffnet. Die Bewegung für den Wandel, ein europäisches Netzwerk sozialer und ökologischer Initiativen, hat mittlerweile in vielen Städten und Gemeinden Selbstversorgungsstrukturen aufgebaut. In Deutschland hatten u.a. die Wir-haben-es-satt-Kampagne, die Aktionen gegen Freihandelsabkommen und die unzähligen Initiativen zur Unterstützung und Integration von MigrantInnen und Geflüchteten dazu geführt, dass immer mehr lokale Selbstversorgungs-Initiativen entstanden. Das umfasst die Versorgung mit Energie, Wasser und Lebensmitteln sowie auch Bereiche wie Mobilität und Transport, Wohnen, Kleidung, Reparaturwerkstätten und Gesundheitsversorgung.

 

Zurück zu der Stadtteil-Bäckerei in Hannover, in der junge Frauen und Männer täglich an sechs Wochentagen jeweils gut 1000  kg Brot und eine kleine aber wechselnde Anzahl an Klein- und Feingebäcken herstellen. Das Handwerk und die Organisation des Betriebes haben die Mitarbeiterinnen von Back’s an in einer freien Ausbildung, die im Sommer 2015 unter dem Namen KNUST (Kooperative Nachhaltige Schule für Transformation) auf den Weg gebracht worden war, gelernt. Im Rahmen der Ausbildung hatten sie u.a. auch anderthalb Jahre in Betrieben der Landwirtschaft, der biologischen Getreidezüchtung und der Müllerei Wissen und Erfahrungen gesammelt.

 

Menschen können frei ein Handwerk erlernen.

Im Verlauf von breiten, gemeinsamen Protesten von HandwerkerInnen, Bäuerinnen und Bauern in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre gegen die sich immer weiter verschärfenden bürokratischen Reglementierungen der EU, die zum Verschwinden kleiner und mittlerer Handwerksunternehmen und bäuerlicher Betriebe in ganz Europa beigetragen hatten, war in Deutschland auch der MeisterInnenzwang gefallen. So war es möglich geworden, eine Bäckerei zu gründen, ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein. In der Praxis der handwerklichen Lebensmittelherstellung hatte sich zudem gezeigt dass die frühere duale Ausbildung nicht mehr geeignet war, Menschen anzusprechen, deren freier Wille darauf drängt, die handwerklichen und persönlichen Qualifikationen zu erlangen, die ein Mensch benötigt, um eine Arbeit – wie beispielsweise das Backen von Brot  – um ihrer selbst willen so gut wie möglich zu machen. Dies war für handwerkliche Betriebe immer notwendiger geworden, um sich einerseits gegen die erdrückende Dominanz vermeintlich „billiger“, industriell hergestellter Brote und Backwaren behaupten zu können und um andererseits mit der eigenen Produktion unabhängig von industriellen Vorprodukten zu sein.

Bei der Arbeit in den lokalen Werkstätten hat die Förderung „Handwerklicher Intelligenz“ und der Fähigkeit zu „schöpferischem Tun“ eine große Bedeutung gewonnen. Menschlichen Eigenschaften wie Phantasie, Aufmerksamkeit, Improvisations- und Kombinationsgabe wird Zeit und Raum gegeben und das Wissen um die Ganzheitlichkeit von Prozessen und Rohstoffen gefördert. Eigenschaften wie Souveränität sowie zielgerichtetes und ursächliches Denken, die durch den aktiven Gebrauch unserer fünf Sinne und das Zusammenwirken von Hand, Herz und Hirn entstehen, werden zur Lösung der bestehenden und kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen dringend gebraucht. Auch aus diesem Grund hat der Neuaufbau handwerklicher Betriebe zur Versorgung lokaler Gemeinschaften eine neue Bedeutung erlangt: Wie Menschen lernen zu arbeiten und wie sie ihre Arbeit verrichten, bestimmt die Gestalt der Gesellschaft.

 

Tagarbeit ersetzt Nachtarbeit

Die Arbeit in der Stadtteil-Bäckerei hat sich gegenüber der früheren Arbeitsweise deutlich geändert. Die früher übliche Nachtarbeit gehört der Vergangenheit an, denn helle Gebäcke aus Typenmehl oder Kleingebäcke werden mit geschmacksfördernden Verfahren der langen Teigführung hergestellt. Die Beschäftigung mit den Verarbeitungseigenschaften neuer, biologisch gezüchteter Weizensorten und die Weiterentwicklung von schonenden Herstellungsverfahren in selbst organisierten, praxisorientierten Arbeitsgruppen, an denen sich BäckerInnen, MüllerInnen, WerkzeugmacherInnen und freie WissenschaftlerInnen gemeinschaftlich beteiligten, hatte dies möglich gemacht. Vollkornbrote werden am Tage produziert und ab Mittag bis zum Ende des nächsten Tages verkauft. Alle hergestellten Backwaren finden zu 100 % ihre AbnehmerInnen, die Verschwendung von Lebensmitteln gehört der Vergangenheit an. Die eingesetzte Technologie dient als Werkzeug, die den ProduzentInnen hilft, ihre handwerklichen Fähigkeiten und Wissenskräfte gesundheitsschonend einzusetzen und weiter zu entwickeln. Die Hauptinvestition, der energieeffiziente Ofen, wurde von einem Ofenbauunternehmen in Deutschland gebaut und mit Hilfe lokaler Heizungs- und OfenbauerInnen aufgestellt und in Betrieb genommen. Knetmaschinen wie auch die weiteren Ausstattungsgegenstände wurden gebraucht gekauft und in lokalen Werkstätten überholt.

Träger der Bäckerei sowie weiterer handwerklicher Betriebe und derer handwerklicher Betriebe und der kleinen Markthalle in einem ehemaligen Discount-Markt, in der an zwei Tagen in der Woche der Bauernmarkt stattfindet, ist eine Genossenschaft, an der inzwischen rund 1000 StadtteilbewohnerInnen Anteile erworben haben. Damit verbunden ist auch der Entschluss und die Bereitschaft, das tägliche Brot bei Back’s an einzukaufen. Umgekehrt ist die Bäckerei ver pflichtet, vorrangig diese Haushalte mit Brot und Backwaren zu versorgen. Darüber hinaus können auch Menschen in der Bäckerei einkaufen, die mit der Lokal-Währung der hannoverschen Transition Town Initiative lokale Strukturen fördern.

Das Getreide stammt von bäuerlichen Betrieben einer ErzeugerInnengemeinschaft in der Region Hannover-Hildesheim, die ökologisch-regenerativ wirtschaften. Angebaut werden vor allem biologisch gezüchtete Getreidesorten, die gesund, standortangepasst und nachbaufähig sind. Vermahlen wird das Getreide in einer Mühle vor den Toren Hannovers, die schon kurz davor war, ihre Walzenstühle endgültig stillzulegen, nachdem gegen Ende der 2010er Jahre die Anzahl der Bäckereien in Deutschland auf unter 9.000 gesunken war. Doch durch das Entstehen neuer, lokaler, solidarischer Bäckereien, die direkt von bäuerlichen Betrieben aus der Region beliefert werden, konnte die Müllerin neue verlässliche PartnerInnen finden.

 

Zurück in die Zeit Anfang Dezember 2015.

Die vorangegangene Beschreibung rund um Back’s an skizziert eine auf lokale Autonomie ausgerichtete Wirtschaftsweise. Sie geht wie die Transition Town-Initiativen von einer umfassenden Reduzierung des Verbrauches unserer Ressourcen, von einer Änderung und Lokalisierung unserer Lebensweise, vom Ausbau des Gemeinwesens und der Gemeingüter und von der Stärkung unserer Selbsttätigkeit und Selbstorganisation aus. [1]

42 Jahre nach dem Erscheinen der Erstauflage des Buches Small is beautifull  – Die Rückkehr zum menschlichen Maß von E. F. Schumacher (Ökonom, 1911-1977) ist sein Zukunftsentwurf nach wie vor wegweisend. Die Versorgung überschaubarer Stadtteile oder ländlicher Gemeinden in verantwortbaren Strukturen begründet sich aus ökologischen Motiven heraus sowie aus der Sodalität der an ökonomischen Prozessen beteiligten Menschen. Das hier skizzierte Konzept einer lokalen Brotversorgung knüpft deshalb inhaltlich an den Zukunftsentwurf von E. F. Schumacher und das Vorwort von Niko Paech (Volkswirtschaftler mit Schwerpunkt Nachhaltigkeitsforschung und Postwachstumsökonomie) in dem Buch an, der schreibt: „[...] die Rückkehr zum menschlichen Maß trägt weitaus mehr in sich, als ökologische und soziale Integrität. Das Dasein in überschaubaren und damit beherrschbaren Strukturen ist eine Qualität für sich. Befreiung von Abhängigkeiten, Versorgungssicherheit, die Demokratisierung und gerechte Verteilung von Erwerbsmöglichkeiten, aber auch die Möglichkeit, sinnstiftend tätig zu sein, gelten als die schönsten Dinge des Lebens. Sowohl deren Wiedererlangung als auch die notwendige Einhaltung verantwortbarer Grenzen ist jedoch nicht damit vereinbar, den industriellen Größenwahn beizubehalten.“ [2]

Diese rund um Back’s an skizzierte Zukunftsvision ist keine Fiktion, sondern weltweit in vielen Detailpunkten bereits Realität. Der Aufbau und die Weiterentwicklung lokaler, solidarischer und autonomer Versorgungsstrukturen, deren Konzeption auf globalem Denken, lokalem Handeln, auf Suffizienz (Effizienz- und Konsistenz-Strategie beinhaltend) und einer ökologisch-regenerativen Erzeugung und Herstellung von Lebensmitteln basiert, ist ein konkreter Weg um Ernährungssouveränität Wirklichkeit werden zu lassen. Handwerkliche Betriebe zur Versorgung räumlich-sozial definierter Gemeinschaften und Kommunen lassen sich bei vorhandenem Know-how in städtischen und ländlichen Regionen realisieren und tragen zur Lebensqualität dieser bei. Zisswirtschaft und Ressourcenverschwendung, gefördert durch die Intransparenz und mangelnde soziale und ökologische Verantwortung unüberschaubarer, auf kontinuierliches Wachstum ausgerichteter Strukturen lässt sich durch die Rückgewinnung von Selbstbestimmung und Souveränität verringern.

 

[1] www.transition-initiativen.de

[2] Neuauflage von "Small is beautiful" 2013. Oekom Verlag; S. 17; aus dem Vorwort von Niko Paech.

Die Autorin Anke Kähler ist Bäckermeisterin und Vorstandsvorsitzende der unabhängigen Berufsorganisation Die Bäcker. Zeit für Geschmack e.V.

Der Artikel erschien im Rundbrief "Gute Stadt - Böse Stadt. Landromantik vs. Stadt für alle" des Forum Umwelt & Entwicklung, 4 /2015, S. 12-14.