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Interview mit Kurt Langbein, Regisseur des Films "Landraub"

Seit der globalen Finanzkrise 2007/8 kaufen Banken und Investmentfonds im großen Stil Land. Doch beim Landerwerb kommt es immer wieder zu Vertreibung von den dort ansässigen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen.

In ihrem neuen, sehr sehenswerten Film LANDRAUB nehmen Kurt Langbein und Christian Brüser uns mit auf eine Reise nach Kambodscha, Äthiopien, Sierra Leone und Rumänien. Dabei kommen betroffene Bauern und Bäuerinnen wie auch Investoren zu Wort. 

Das Interview führte Judith Orland. Ursprünglich veröffentlicht wurde es im oxfam-blog.

Sie haben gut zwei Jahre recherchiert und sind um die Welt gereist, um sich diverse Fälle anzuschauen. Was waren die größten Herausforderungen?

Langbein: Es war sicherlich eine Herausforderung, von den vielen wirklich erschütternden Geschichten von Landraub eine Handvoll für den Film auszuwählen. Denn man könnte leider locker 50 abendfüllende Filme zum Thema Landraub machen. Wir haben bestimmte Kriterien angelegt. Wir wollten ein Beispiel für den ganz brutalen, unmittelbaren, physischen Raub zeigen. Das sieht man im Fall von Kambodscha ganz deutlich. Wir wollten ein Beispiel zeigen für einen Landaneignungsprozess, der sich selber sozial und ökologisch verträglich darstellt. Den Menschen wird das Land zwar nicht gestohlen, aber sie gehen dennoch leer aus. Das kann man in Sierra Leone sehen. Am Beispiel Äthiopien lässt sich das Verhältnis von arm und reich zeigen. Und wir wollten auch ein europäisches Beispiel vorstellen.

Es ging uns vor allem darum die verschiedenen Facetten von Landraub zu zeigen. Denn die Methoden der Landakquise sind in der Tat sehr unterschiedlich. Im Ergebnis sind sie jedoch erschreckend ähnlich. Die Kleinbauern und -bäuerinnen bleiben immer auf der Strecke. Sie haben meist danach weniger zu essen als davor. Meistens profitiert nur eine ganz kleine Gruppe.

Die andere Herausforderung war, auch die Gedankenwelt der großen Investoren zu zeigen. Dabei wollte ich das Dilemma des klassischen investigativen Journalismus überwinden, der vor verschlossenen Türen steht. In mühevoller, detailreicher Überzeugungsarbeit konnten wir bei einigen wenigen Investoren eine Drehgenehmigung erwirken, so zum Beispiel bei Cargill. Dabei haben wir die Wahrheit gesagt: „Wir interessieren uns dafür, wie nachhaltige Palmölwirtschaft wirklich funktioniert.“ Dazu muss man wissen, dass die Firma Cargill sich Nachhaltigkeit groß auf die Fahne geheftet hat. Wir haben also mit dem Cargill-eigenen Wording agiert und wurden eingeladen.

Was hat Sie am meisten überrascht auf der Reise?

Langbein: In Kambodscha wollten wir den Kampf eines politisch-aktiven Mönches filmisch dokumentieren und mit ihm durch die Lande fahren, um zu rekonstruieren, was wo wie passiert ist. Als wir jedoch in der kleinen Pagode ankamen, schauten uns eine Gruppe verzweifelter Menschen mit leeren Augen an. Sie waren ein paar Tage davor mit brutaler Gewalt von ihren Feldern vertreiben wurden. Wir waren also plötzlich mitten drin im Geschehen. Damit hatten wir nicht gerechnet.

Die zweite Überraschung war, dass Cargill uns tatsächlich eingeladen hat. Cargill ist immerhin der weltweit größte Agrarrohstoffhändler und auch selbst Produzent.

Sie portraitieren die Investoren und die Betroffenen. Auch staatliche Akteure in den Ländern und in Europa spielen eine Rolle, oder?

Langbein: In der Tat sind staatliche Akteure in den Ländern maßgeblich. Wir haben versucht Interviews zu bekommen. Das ist uns nicht geglückt. Die Ausnahme ist ein kurzes Interview mit dem Sohn des Besitzers der Zuckerfabrik in Kambodscha, dessen Vater Senator ist. Das sind eng mit den großen Konzernen verwobene Oligarchien, die diesen Boom auf große Plantagen für sich nutzen und damit selbst ein Riesengeschäft machen. Das sind durch und durch korrupte Regimes, die im Privatinteresse Deals mit den großen Agrarinvestoren machen. Aber – und das ist wichtig – auf der anderen Seite ist es die europäische Politik, die das Vorgehen begünstigt, die entsprechende Rahmenbedingungen schafft, damit das Business funktioniert und die nichts gegen die Ungerechtigkeit tut.

Die beiden Seiten ergänzen sich. Es sind also nicht nur die korrupten Regime vor Ort. Sie könnten gar nicht im großen Stil Zucker nach Europa exportieren, wenn die EU nicht eigens dafür Programme schaffen und dabei zuschauen würde, wie jedes Jahr tausende Bauern vertrieben werden.

Was können die Menschen vor Ort tun?

Langbein: Die Leute vor Ort sind zunächst ausgeliefert. Sie haben kaum Möglichkeiten, ihre Interessen zu vertreten. Das sieht man am Beispiel von Sierra Leone am deutlichsten. Dort wurde so getan, als würde man ein vernünftiges Geschäft abwickeln. Aber die betroffenen Dörfer hatten keine Ahnung, auf was sie sich einlassen. Viele Familien leben jetzt unter wesentlich schlechteren Bedingungen in ihren Dörfern als vor der Landnahme durch die Zuckerrohrplantage. Nur einige wenige haben profitiert und Jobs bekommen. Diese kleine Gruppe steht in keinem Verhältnis zu dem Schaden der insgesamt angerichtet wurde. Und das alles für Treibstoff für unsere Tanks - die Absurdität zum Quadrat.

Es ist erschreckend, dass die EU keine entschlossene Haltung gegen diese Praktiken entwickelt. Es gibt ein Interessengeflecht, das das Business aufrechterhält. Die EU fördert weiterhin Programme für Mega-Plantagen für die Biosprit-Erzeugung und zur Zuckerproduktion und es werden sogar Entwicklungshilfegelder in solche Projekte gesteckt.

 

Wie wirkte auf Sie das Argument der Konzerne, dass sie die Welternährung sichern werden? Gelingt es ihnen, den Politikern und der Öffentlichkeit, Sand ins Auge zu streuen?

Langbein: Die Agrarindustrie hat leider eine ähnliche Hegemonie über Politik und Medien, wie es das Finanzkapital hat – völlig entgegen den Tatsachen. Heute noch werden weltweit 70 Prozent der Nahrungsmittel von Kleinbauern hergestellt, und sie machen das wesentlich schonender. Studien belegen: Die Agrarindustrie verbraucht wesentlich mehr Energie als sie produziert, bei den Bauern ist das umgekehrt.

Im Film gibt es atemberaubende Szenen, z.B. wenn eine Drohne eine gefühlte Ewigkeit über die Palmölplantage in Sumatra fliegt. Wie kam es dazu, dass Sie diese Bildersprache gewählt haben?

Langbein: Mit einer Kamera am Boden kann man die Dimensionen überhaupt nicht einfangen. Selbst mit den Drohnen ist es nur teilweise gelungen. Man kann sich das Ausmaß einfach nicht vorstellen. Ein Beispiel von der Zuckerrohplantage in Sierra Leone: Ein „Pivot“ genanntes zur Bewässerung kreisrund angelegtes Feld hat ein Radius von einem Kilometer. Da fährt also ein 1-Kilometer langes Ungetüm zur Bewässerung im Kreis. Das ist gigantisch. Mit Hilfe der Drohnen wollten wir das Ausmaß in Bilder einfangen.

Sie enden den Film mit der Geschichte der kambodschanischen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, die wieder auf ihr Land zurück können. Das ist sehr hoffnungsvoll.

Langbein: Ja, das war eine wunderbare Wende. Sie zeigt, dass sich Widerstand lohnt. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus dem sehr entschlossenen Vorgehen der Mönche, die mit ihrer Autorität dem Widerstand einen anderen Charakter gegeben haben. Dazu kam, dass Exil-Kambodschaner/innen in Australien eine Kampagne gestartet haben und dann waren wir als Filmteam vor Ort. Den Behörden war also klar, dass die Geschehnisse eine Öffentlichkeit bekommen. Man hat uns während der Dreharbeiten auch zu verstehen gegeben, dass wir da nichts verloren haben. Die Geheimpolizei war immer dabei.

Dennoch: Am Schluss hat das Zusammenspiel ausgereicht, um so ein furchtbares Verbrechen – denn was anderes ist es ja nicht –  rückgängig zu machen. Die Leute müssen zwar ihre Häuser neu aufbauen, aber sie haben ihr Land zurück. Das macht Mut. Widerstand ist nicht nur notwendig, sondern kann auch etwas bewirken. Aber das gilt für 400 Menschen, insgesamt wurden bisher 600.000 vertrieben.

Ist das auch Ihr persönliches Fazit?

Langbein: Ja, ich bin überzeugt davon, dass auch bei uns der Widerstand gegen diese unmenschlichen Praktiken nötig ist. Forscher der Heinrich-Böll-Stiftung haben es belegt: 44 Prozent des Geldes kommt aus Europa und wir sind die größten Nutznießer. 60 Prozent von dem, was wir tagtäglich konsumieren, wächst nicht mehr in Europa, sondern dort, wo die Leute selber nicht genug zu essen haben. Das heißt, wir müssen Widerstand leisten gegen diese Form der Ausbeutung, wenn wir Menschenrechte mit gutem Gewissen weiterhin in den Mund nehmen wollen.