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                                                                                                                                                                                                        Stand: April 2016

Glyphosat auf dem europäischen Prüfstand - Gibt es eine Neuzulassung?

Herbizid im Einsatz (Foto: flicker. com, Chafer Machinery (CC BY 2.0))
Herbizid im Einsatz (Foto: flicker. com, Chafer Machinery (CC BY 2.0))

Seit über 40 Jahren ist das Herbizid Glyphosat auf dem deutschen Markt. Als Pflanzengift "Roundup" werden jährlich 5000 bis 6000 Tonnen auf Feldern, in Gärten und auf öffentlichen Flächen ausgebracht - weltweit sind es  800.000 Tonnen. 2015 belief sich der Umsatz, den der Chemiekonzern Monsanto mit dem Mittel erzielte auf 4,8 Milliarden Dollar. Derzeit sind 94 glyphosathaltige Mittel in der Bundesrepublik zugelassen, wobei die gesundheitlichen Risiken einige Städte und Baumärkte dazu veranlasst haben, freiwillig darauf zu verzichen.

Im Juni läuft die derzeitige Zulassung für das Unkrautvernichtungsmittel aus – deswegen wollte die EU-Kommission am 8.3.2016 über eine Verlängerung um weitere 15 Jahre abstimmen. Nun musste die Entscheidung verschoben werden, da sich einzelne Staaten gegen die Neuzulassung aussprachen. Der Unkrautvernichter steht in starker Kritik, da er von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft wurde. 

Die derzeitigen Positionen zur Verlängerung

  • Der Umweltausschuss des EU-Parlaments spricht sich gegen eine Neuzulassung aus, solange nicht alle Risiken und Ungewissheiten beseitigt seien. Das gebiete das Vorsorge-Prinzip.
  • Das EU-Parlament rät der EU-Kommission wegen des Verdachts auf krebserregende und hormonelle Wirksamkeit, das Herbizid Glyphosat nur für 7 Jahre anstatt wie vorgesehen um weitere 15 Jahre zu verlängern. Der Einsatz solle zudem auf professionelle Nutzung beschränkt werden. Zudem fordern die Abgeordneten, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Studien offenlegt, die sie für ihre Einschätzung verwendet hat. Weiterhin verurteilen sie die Verwendung von Glyphosat zur „Austrocknung“, d. h. zur Abtötung der eigentlichen Nutzpflanze vor der Ernte, um den Reifeprozess der Pflanze zu beschleunigen und das Ernten zu erleichtern.

  • Die Bundesregierung will wohl der Neuzulassung "unter Auflagen" zustimmen und stützt sich dabei auf die Einschätzung der europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Der Position gingen harte Diskussionen zwischen Christian Schmidt (Agrarminister, CSU) und Barbara Hendricks (Umweltministerin, SPD). Zu den Auflagen zählt u.a., dass die indirekten Auswirkungen auf die Artenvielfalt einbezogen würden. Auch die Nutzung des Herbizids solle eingeschränkt und die Steuerung des Erntermins durch "Austrocknung", wie in Deutschland bereits verboten, ausgeschlossen werden.
  • Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) fordert die Regierung auf, sich in der EU gegen eine Neuzulassung einzusetzen, so lange u.a. Krebsverdacht und hormonelle Wirksamkeit nicht ausgeräumt seien. Dass ein Verzicht auf Glyphosat möglich ist, zeige auch die aktuelle Studie des Julius-Kühne-Instituts "Folgenabschätzung für die Landwirtschaft zum teilweisen oder vollständigen Verzicht auf die Anwendung von glyphosathaltigen Herbiziden in Deutschland."
  • Laut einer repräsentativen Umfrage eines britischen Meinungsforschungsinstituts fordern 64 Prozent der Menschen in den fünf größten EU-Mitgliedsländern ein Glyphosat-Verbot.

Da die Entscheidung über die Neuzulassung verschoben wurde, ist unklar, ob die Frist bis Ende Juni jetz noch von den Behörden einzuhalten ist. Wahrscheinlich ist, dass die EU-Kommission die Entscheidung um ein weiteres halbes Jahr nach hinten verschiebt - so bereits zweimal geschehen.

Wie wirkt Glyphosat?

Glyphosat ist ein Breitbandherbizid, dass weltweit zur Unkrautbekämpfung eingesetzt wird. Es wird über die Blätter aufgenommen,  gelangt so in alle Bestandteile der Pflanze und hemmt einen lebenswichtigen Stoffwechselprozess, weswegen sie abstirbt. Glyphosat wirkt für alle Pflanzen gleich – es sei denn, sie wurden gentechnisch so verändert, dass sie den Herbizideinsatz überleben. Glyphosat kann also als ursächlich für die Entwicklung von Gen-Soja und anderer genmanipulierter Pflanzen betrachtet werden.

Durch den hohen Einsatz des Pflanzengifts entstehen jedoch auch resistente Populationen von Beikräutern, die sich dann nicht mehr wirksam bekämpfen lassen. Nach nur drei Jahren des Einsatzes auf dem Feld, wurden in den USA bereits resistente Unkräuter gefunden. Sie sind besonders hartnäckig, können mehrere Meter hoch werden und die Ernte so massiv beeinträchtigen. Zwischen 2001 und 2007 verdoppelte sich der Glyphosat-Einsatz in den USA auf 80 Millionen Kilogramm pro Jahr, woraufhin die Zahlen nicht mehr veröffentlicht wurden. Mittlerweile sind manche Pflanzen gegen mehrere angepasste Herbizide resistent.

Glyphosat lässt sich nicht abwaschen oder durch erhitzen oder einfrieren abbauen. Rückstände halten sich etwa ein Jahr in Lebens- und Futtermitteln. Die biologische Vielfalt ist durch Totalherbizide wie Glyphosat stark bedroht, da sie die Agrarlandschaft nachhaltig reduzieren und so auch weniger Tieren einen Lebens- und Futterraum bieten. Zudem ist Glyphosat ein Problem für Wasserlebewesen, deren Embryonalentwicklung gestört wird. Auch bodenfördernde Mikroorganismen werden durch längeren Einsatz des Gifts zerstört. Unsachgemäßer Einsatz ist häufig eine Ursache für Probleme, die zwar vom Hersteller ausgeschlossen werden aber in der Praxis dennoch auftreten.  

Wissenschaftliche Bewertung

Anwendung von Glyphosat (Foto: flickr.com, Paul Schulze, (CC BY 2.0))
Anwendung von Glyphosat (Foto: flickr.com, Paul Schulze, (CC BY 2.0))

Im März 2015 hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), einen Bericht zum Krebspotenzial von Glyphosat veröffentlicht: Es sei "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" und fällt unter die zweithöchste Gefahrengruppe "2A". Glyphosat kann über die Nahrung aufgenommen werden und gelangt so auch in den menschlichen Körper. 

In einer Langzeitstudie des Umweltbundesamts, die 400 Urin-Proben über einen Zeitraum von 15 Jahren kontrollierte, ließ sich 2001 der Stoff im Urin bei zehn Prozent der studentischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nachweisen. 2013 fand wurde es bei knapp 60 Prozent der Testgruppe gefunden und im Jahr 2015 lag die Quote bei 40 Prozent.

Zudem gibt es Hinweise von dänischen Wissenschaftlern, dass Glyphosat während der Schwangerschaft die Plazenta-Schranke überwindet. Deswegen gilt es auch als schädlich für Säuglinge im Mutterleib und kann durch seine hormonelle Wirksamkeit zu Komplikationen während der Schwangerschaft führen. Regionen mit massivem Einsatz von glyphosathaltigen Pestiziden verzeichnen zudem einen Anstieg von Missbildungen bei Neugeborenen und eine Verdreifachung der Krebsrate bei Kindern. 

Österreiche Forscher fanden in einer Studie heraus, dass Glyphosat-Einsatz die Aktivität und Fruchtbarkeit von Regenwürmern deutlich verringert. Diese nützlichen Tiere sind für die Vielfalt im Boden enorm wichtig. Sie düngen und helfen bei der Wasser- und Sauerstoffaufnahme. In einer weiteren Studie wurde nachgewiesen, dass Glyphosat negative Wirkung auf die Orientierungsfähigkeit von Bienen hat. Selbst bei wenigen und kurzzeitigen Kontakten zum Pestizid wurden die Insekten nachhaltig beeinträchtigt. Auch finden sie weniger Nahrung, da der Einsatz des Unkrautvernichters zu einer geringen Blütenfülle führe.

Die Bewertung des Bundesinstituts für Risikobewertung

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) untersteht dem Bundeslandwirtschaftsministerium und war im Rahmen des Wiederzulassungsverfahren beauftragt worden, die Auswirkungen des Spritzmittels auf den Menschen zu prüfen. Sie gilt als die offizielle Prüfbehörde seitens der EU. Es kommt dabei zu einer grundsätzlich anderen Einschätzung als die WHO und sieht von dem Wirkstoff keine Gefahr für die Gesundheit von Verbrauchern ausgehen, wenn es bestimmungsgemäß angewendet wird. Die europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schloss sich diesem Urteil an, wobei ihre Bewertung als maßgeblich für die Entscheidung über die Neuzulassung gilt.

Daraufhin verfassten 96 führende Wissenschaftler, darunter Epidemiologen, Krebsexperten und Toxikologen einen achtseitigen offenen Brief in dem sie die Einschätzung als "wissenschaftlich inakzeptabel" kritisieren. Darin wurde Unverständnis geäußert, warum die Arbeit hochrennomierter Wissenschaftler für den IARC-Bericht angezweifelt würde und hingegen beim Bericht des BfR keine Namen vorliegen. Darüber hinaus würde sich beim BfR-Bericht auf geheim gehaltene Studien bezogen, was den Verdacht nahe lege, sie könnten von der Industrie, also Monsanto und anderen Herstellern finanziert worden sein.

Ein Report von Testbiotech deckte zudem auf, dass 9 der 13 Mitglieder der Expertenkommission als voreingenommen und industrienah gelten können, was zu Interessenskonflikten führt. Testbiotech geht daher von einer systematischen Einflussnahme auf staatliche Institutionen und die öffentliche Meinung aus, die das Funktionieren unabhängiger staatlicher Einrichtungen in Frage stellt. 

Ein Lesesaal wie bei TTIP?

Der EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis forderte Anfang April die Offenlegung aller Studien, die die Efsa zur Bewertung von Glyphosat vorgelegen haben. Ein erheblicher Teil der Zivilgesellschaft sei über die unterschiedlichen Angaben in Bezug auf das Krebsrisiko beunruhigt, was nicht ignoriert werden könne. Der Herstellerverband Glyphosat Task Force (GTF) schlägt daraufhin einen Lesesaal in dem ausgewählte Studien ausgelegt werden, ähnlich wie im Fall TTIP, vor. Offizielle Begründung dafür lautet, dass die Hersteller einen Missbrauch ihrer Daten fürchteten.

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