Meine-Landwirtschaft.de

25. Oktober 2015 – Der Politische Suppentopf brodelt in Hamburg!


Wer sichert eigentlich die Ernährung in den Städten der Zukunft? Was sind die großen Herausforderungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und Ernährung? Welche Initiativen gibt es in Hamburg und Umgebung, die bereits Pfade in Richtung einer ökologischen und sozial gerechten Landwirtschaft beschreiten? Und wie können sich diese vernetzen bzw. ihre Vernetzung untereinander ausbauen?
Am Sonntag, den 25. Oktober 2015, trafen sich etwa 40 Menschen – Mitglieder von solidarischen Landwirtschaften, Bäuerinnen und Bauern, LebensmittelretterInnen, urbane GärtnerInnen, StadtteilgestalterInnen, Engagierte und Interessierte im Centro Sociale in Hamburg, um gemeinsam an Visionen einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu basteln, Ideen zu entwickeln und deren Umsetzung zu planen. Natürlich wurde nicht nur eifrig diskutiert und genetzwerkt, sondern auch gemeinsam mit dem Kochaktivisten Wam Kat und der „Fläming Kitchen“ regionales Gemüse geschnippelt, gekocht und gespeist.

Ein weiter so ist keine Option!

Jan Urhahn vom INKOTA-netzwerk führte uns den globalen Kontext vor Augen: Die Industrialisierung und Globalisierung unserer Landwirtschaft führen uns in eine Sackgasse. Die natürlichen Lebensgrundlagen wie Boden, Wasser und Biodiversität werden ausgebeutet, das Klima ist überlastet. Gleichzeitig leidet immer noch jeder achte Mensch an Hunger und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Wir brauchen einen radikalen und systemischen Wandel. Aber was heißt das konkret für Hamburg und Umgebung?

Initiativen, die den Weg in die Zukunft vorgeben

Insgesamt 11 Akteure zeigten, wie sie Ernährung und Landwirtschaft in und um Hamburg zukunftsfähiger machen. Dabei lagen die Schwerpunkte auf der Schaffung regionaler Versorgungsstrukturen, dem Kampf um Flächen für urbane Gärten und den Synergien zwischen Gartenprojekten und interkultureller Quartiersarbeit. Ob Solidarische Landwirtschaft, Gärten in allen Formen und Varianten oder die kreative Umverteilung von Lebensmitteln – es kam eine bunte Mischung aus Akteuren zusammen, die Lust auf eine Veränderung des Ernährungssystems in ihrer Region haben.
Einen Input aus Berlin lieferte Alessa Heuser vom INKOTA-netzwerk, stellvertretend für den sich etablierenden Ernährungsrat Berlin. Sie stellte die Idee und das Wirkungspotential von Ernährungsräten vor und regte dazu an, auch für Hamburg einen Ernährungsrat aufzubauen. In einen Gruppengespräch, das Heike Breitenfeld von KEBAB leitete, kamen insbesondere die verschiedenen Hamburger Gärten zu Wort. Sie tauschten sich darüber aus, welchen Herausforderungen sie als Initiativen gegenüberstehen, vor allem beim Kampf um urbane Räume, die elementar für die Erhaltung und den Ausbau der Gärten sind.

KEBAP KulturEnergieBunkerAltonaProjekt e.V.

KEBAP möchte in Hinblick auf zukunftsfähige Kultur- und Energiekonzepte im städtischen Raum einen Beitrag leisten: Wir planen eine Basisversorgung der Menschen bei den Grundbedürfnissen Kultur & Energie, die lokale Ökonomie und Ökologie miteinander verbindet. Der Verein KEBAP bewirbt sich für die Übernahme des Hochbunkers Schomburgstraße 6-8 in Hamburg/Altona, um dort Räume für Kultur zu schaffen sowie eine Erzeugungsanlage für (Fern-)Wärme und Strom zu installieren. Die neuartige Mischung Kultur/Energie kommt sowohl den baulichen Gegebenheiten des Bunkers als auch der Lage im Wohngebiet (Nahversorgung) entgegen.

Gartendeck

Das Gartendeck ist ein ursprünglich temporär angelegter urbaner Garten in der Großen Freiheit, zwischen St. Pauli Druckerei und dem Indra: 1.100 qm Dachfläche, 400 qm Grünstreifen, rund 650 Bäckerkisten, ein Container, zwölf Schaufeln, zwei Schubkarren, 172 verschiedene Pflanzensorten, fünf Bienenvölker, vier Komposthaufen und eine Wurmkiste. Allen voran ist das Gartendeck ein Ort, an dem gemeinschaftliche Strukturen wiederbelebt werden: NachbarInnen lernen sich kennen, gärtnern gemeinsam und gestalten auf diese Weise den ganzen Stadtteil mit. Das Gartendeck unterstützt aktiv die Kampagne „Solidarische Raumnahme“. Die selbstorganisierten Stadtteilzentren, Nachbarschaftstreffs, soziokulturellen Einrichtungen, Wagenplätze, kollektiven Gärten und Wohnprojekte treten gemeinsam ein für mietfreie und kostenlose Raumnutzungen – überall dort, wo Menschen sich für das Gemeinwohl engagieren.

Interkultureller Garten Wilhelmsburg e.V.

Der Interkulturelle Garten Wilhelmsburg e.V. existiert seit 9 Jahren. Er versteht sich als tolerante Begegnungsstätte von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Das gemeinsame ökologische Gärtnern, gemeinsame Feste und Freizeiten fördern das friedliche Kennenlernen und auf lange Sicht ein Zusammenwachsen in Respekt zueinander

Grünanteil – Plattform für wachsende Stadtnatur

Grünanteil.net wird eine interaktive Plattform für biologische Vielfalt und grüne Nachbarschaft. Herz der Plattform ist eine interaktive Stadtkarte, die grüne Schutz- und Freiräume sichtbar macht. Das können Balkone und Dächer, Schulhöfe und Kindergärten, Firmengelände, Brachen und Hinterhöfe, Naturschutzgebiete, Verkehrsgrün und Baumscheiben, Gemeinschaftsgärten und Gartenvereine sein.
Alle interessierten BürgerInnen, NaturschützerInnen, Urban Gardener, grüne AktivistInnen, Institutionen und GrünflächenverwalterInnen sind eingeladen ihre Orte, Ideen oder Projekte mittels eines Formulars in die Karte einzutragen und kurz vorzustellen. Die Plattform Grünanteil.net startet in und für Hamburg. Allerdings lässt sich die interaktive Plattform leicht auf andere Städte übertragen, um dort grüne Flächen und Aktivitäten sichtbar zu machen.

MOTTE – Stadtteil&Kulturzentrum

Seit 1976 ist die MOTTE Ideenagentur und aktiver Kooperationspartner im Stadtteil. Die Veranstaltungs-, Kurs- und Werkstattangebote richten sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Förderung von Medienkompetenz und kultureller Bildung sowie Projekte in der Berufsorientierung wurden von uns zu Schwerpunkten entwickelt. Interdisziplinäre und internationale Projekte werden in unterschiedlichsten Kooperationsverhältnissen umgesetzt. Die MOTTE versteht sich als Impulsgeber und Intermediär in der Stadt(teil)entwicklung. Es gibt u.a. den MOTTE-Hühnerhof, eine Imkerei auf dem MOTTE-Dach und einen Nachbarschaftsgarten. Wer sich hier aktiv einbringen möchte bei der Bepflanzung und Pflege im und um den MOTTE-Hühnerhof herum, ist herzlich willkommen. Hier brummen nicht nur die Bienen. Mehrere ehrenamtlich engagierte Teams sind hier aktiv.

Tifu Tutenberg Institut für Umweltgestaltung e.V. – Permakulturgarten

 

Unser Interesse ist es, Menschen mit der sie umgebenden Natur in Beziehung zu bringen. Umweltbildung und Permakultur sind die treibenden Wurzeln unseres Vereins. Und unser Motto lautet: “Alles gärtnert!” Auf dem TIFU-Gelände am Schulgartenweg im Altonaer Volkspark schaffen wir seit Anfang 2011 einen ökologischen Ort der Begegnung für lokale und überregionale Gruppen und einen Ort für konkrete gärtnerische Praxis, wo alle von allen etwas lernen können. In den Nachbarschafts- und Gemeinschaftsbeeten bauen wir Kräuter, Gemüse und Nutzpflanzen an, außerdem haben wir eine Wildblumenwiese und einen „Naschwald” mit über 100 Obstbäumen und -sträuchern angelegt. Gemeinsam schaffen wir so nicht nur nach und nach einen lebendigen und „nahrhaften” Ort, sondern eignen uns auch immer mehr gärtnerische und handwerkliche Kenntnisse an. Neben unserem Bienenstand für die Verbreitung der Imkerei bietet TIFU e.V. jedem Interessierten den Besuch des Gartens oder eine Gartenführung zu speziellen Themen wie z. B. der Permakultur an.

 

Keimzelle – TAUSCHPLATZ für Alle

Die Keimzelle befindet sich seit Mai 2011 im Hamburger Karolinenviertel und ist ein kleiner sozialer Garten. Das bedeutet, dass alle den Ort gemeinschaftlich nutzen können, sei es zum Gärtnern, als Erholungsort oder als Treffpunkt. Niemand muss Mitglied einer Gruppe oder eines Vereins sein, um an der Keimzelle mitwirken zu können. Im Garten werden verschiedene Gemüse, Kräuter und Blumen angebaut. Hier kann in der Erde gewühlt und gewässert werden. Hier begegnet man Insekten und Pflanzen, die in einer Großstadt nicht so häufig zu finden sind. Auch das Schmecken kommt nicht zu kurz: Die Früchte und Erträge der Keimzelle werden gemeinschaftlich genossen. Der einen und dem anderen mag es schon vor Ort aufgefallen sein – wir haben uns seit Anfang Mai umbenannt und sind nun Tauschplatz, Foodsharing-Platz und Garten in einem.

Foodsharing Hamburg

Foodsharing ist eine Initiative, um FoodsaverInnen und BotschafterInnen zu organisieren, Lebensmittel von Lebensmittelbetrieben aller Art zu retten, die Internationalisierung von foodsharing voranzubringen, Veranstaltungen zum Thema zu organisieren und vieles mehr! Seit September 2013 haben sich bereits über 9.000 ehrenamtliche Menschen, die etwas gegen die Lebensmittelverschwendung unternehmen wollen, angemeldet und 3.000 Freiwillige von ihnen retten schon aktiv in ca. 1.200 Betrieben. Allein in Hamburg holen über 800 FoodsaverInnen Lebensmittel von über 100 Betrieben ab. Die Plattform foodsharing basiert zu 100% auf ehrenamtlichem und unentgeltlichem Engagement. Der nächste Schritt hin zur Sharing Economy ist das Project yunity. Aus dem Selbstverständnis: Wir ermutigen Menschen zu Verbindungen, in denen sie bedingungslos ihre Zeit, Fähigkeiten und Ressourcen teilen können. Mit diesen Verbindungen und lokalen Communities vermeiden wir Verschwendung und fördern einen nachhaltigen Lebensstil.

Agrar Koordination & FIA e.V.

Die Agrar Koordination macht entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Landwirtschaft und Ernährung. Mit unseren Projekten setzen wir uns für eine vielfältige Landwirtschaft in Nord und Süd ein, die Ressourcen und Umwelt schützt und jetzt und in Zukunft alle Menschen ernähren kann. Wichtige Themen unserer Arbeit sind: Agrobiodiversität und Ernährungssicherung, Gentechnik in der Landwirtschaft, Futtermittelimporte, Bodenfruchtbarkeit.

Ernährungsrat Berlin

Der Ernährungsrat für Berlin ist eine offene Bewegung von Akteuren aus Berlin und Umland, die sich mit dem Thema Ernährung befassen. Unser Ziel ist es, den Themen „Ernährung“ und „Landwirtschaft“ – und damit zusammenhängenden Fragen wie Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung, Regionalität, soziale und globale Gerechtigkeit, menschliche und tierische Gesundheit – in der Region Berlin-Brandenburg mehr öffentliche Aufmerksamkeit und politische Schlagkraft zu verleihen. Der Rat ist ein breites Bündnis, das Ideen, Strategien, Vorschläge, Forderungen und Visionen entwickelt, um das Ernährungssystem in der Region Berlin-Brandenburg zukunftsfähig zu machen. Der Rat ist offen für alle Akteure aus Berlin und Umland, die sich mit dem Thema Ernährung befassen: bäuerliche ErzeugerInnen, StadtgärtnerInnen, lokale VertreterInnen aus Ernährungswirtschaft, Lebensmittelhandwerk und Gastronomie, LebensmittelretterInnen, Food-AktivistInnen, Engagierte von Verbänden und Vereinen, politische BildnerInnen, WissenschaftlerInnen, VerbraucherInnen etc.

Aktiv werden! Welches Rezept ernährt Hamburg und Umgebung in Zukunft?

In der zweiten Tageshälfte waren alle eingeladen, selbst aktiv zu werden. In vier thematischen Kleingruppen wurden Erfahrungen ausgetauscht, Ideen gesammelt und konkrete Schritte für die Zukunft geplant.

1. Kleingruppe: Stadt-Land-Beziehungen

    Was läuft gut?

  • Zugang zu gutem Essen ist nicht immer nur mit Einkommensfrage verbunden, es gibt auch Modelle für alle
  • BioBoden Genossenschaft der GLS Bank: Landsicherung als Genossenschaftsmodell
  • Solidarische Landwirtschaft als Konzept
  • Tomatenretter: Sortenerhaltung nach Solidarprinzip (Genpool erhalten, der zurückfließen kann)

    Was läuft schlecht?

  • Selbstverpflichtung der KonsumentInnen
  • Wissen ist da, aber kein Bewusstsein
  • Preise orientieren sich nicht an realen Kosten (externe Effekte, Subventionspolitik)
  • fehlende Wertschätzung von Lebensmitteln in der Stadt

    Was muss sich ändern?

  • Vernetzung
  • von Initiativen ausgehen, um stärker zu sein
  • Sensibilisierung der KonsumentInnen und der Stadtbevölkerung
  • Verbindlichkeit und Flexibilität
  • mehr Bereitschaft für Selbstorganisation
  • Wertstoffe zurück aufs Land
  • Fairness: Beachtung der gesellschaftlichen Folgekosten

    Was können wir konkret tun?

  • Stadtteilgärten als Bindeglied für solidarische Landwirtschaft
  • Wissen umsetzen in konkretes Tun
  • Bildungsarbeit, um Bewusstsein zu schaffen


2. Kleingruppe: Sharen & Teilen & Vernetzung

    Was muss sich ändern?

  • Kommunikationswege innerhalb und zwischen den Initiativen stärken und ausbauen
  • Informationsfluss in Gang setzen

    Was können wir konkret tun?

  • bestehende Projekte als Multiplikatoren nutzen
  • reale gemeinsame Veranstaltungen organisieren
  • Vernetzung mit KünstlerInnen, MusikerInnen, Kleingewerbe außerhalb des „eigenen Dunstkreises“
  • persönliche Gespräche/direkt Begegnungen
  • Verknüpfung virtueller und realer Räume
  • Schilder, Banner, (coole) Karten, Etiketten zum Selberausdrucken
  • Schwarze Bretter nutzen

3. Kleingruppe: Vision Ernährungs- und Agrarwende

    Was läuft gut?

  • Transition Town Bewegung
  • Reformhaus- und Bio-Bewegung
  • Nachhaltigkeitsbewegung weltweit
  • Selbstermächtigung der Frauen

    Was läuft schlecht?

  • Status Quo wird aufrechterhalten
  • Werbung und Wirtschaft zu mächtig
  • Aufklärung nicht ausreichend
  • Agrar- und Ernährungssystem ins gesamte Gesellschaftssystem eingebettet (Kapitalismus)
  • gutes Essen ist nicht für alle da

    Was muss sich ändern?

  • externe Effekte berücksichtigen bei Preisbildung
  • vegane Ernährung
  • bäuerliche Landwirtschaft fördern (Subventionen)

    Was können wir konkret tun?

  • weitere Vernetzung
  • Bildung und Aufklärung
  • Massen erreichen
  • Themen schmackhaft machen
  • Politik adressieren (zusätzlich zum Vorleben von Alternativen in der Praxis)
  • gegenseitige Unterstützung

4. Kleingruppe: Stadtgestaltung

    Was läuft gut?

  • Hamburger Koalitionsvertrag ist unverbindlich formuliert/kann genutzt werden
  • Politik der Grünen hat Potential

    Was läuft schlecht?

  • Verdichtung in der Stadt
  • keine Beteiligung der Flächenvergabe
  • Was passiert im Alltag mit den urbanen Gärten? Warum ist die Keimzelle eingegangen?

    Was muss sich ändern?

  • Veranstaltungen
  • gemeinsamer Kalender
  • niedrigschwelliger Einstieg in urbane Gartenprojekte

    Was können wir konkret tun?

  • Leerstand nutzen statt noch mehr Freiflächen zuzubauen
  • Aktivierung, Leute erreichen
  • Strategien, um mit wenigen die Politik zu erreichen
  • Allmendekonzept nutzen
  • Mitgestaltungskonzepte
  • gemeinschaftliches Gärtnern (z. B. Innenhöfe, Gemeinschaftswohnungen)
  • viele ins Boot holen, aber auch in kleiner Gruppe handlungsfähig sein
  • Gespräche mit Stadt fortsetzen, sich der Stadt gegenüber positionieren
  • eine Stimme bilden: Foodsharing & urbane Gärten

Der Politische Suppentopf kam gut an – einige persönliche Highlights von Teilnehmenden:

 

„Interessante Menschen!“ - „Mein Sitznachbar, der alles viel positiver sieht!!!“ - „Das gemeinsame Kochen und Schnippeln“ - „die Gruppengespräche“