Meine-Landwirtschaft.de

24. Oktober 2015 – Der Politische Suppentopf brodelt in Werder/Havel!


Wer sichert eigentlich die Ernährung in den Städten der Zukunft? Was sind die großen Herausforderungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und Ernährung? Welche Initiativen gibt es in Werder und Umgebung, die bereits Pfade in Richtung einer ökologischen und sozial gerechten Landwirtschaft beschreiten? Und wie ist die Vernetzung zwischen den StädterInnen in der Hauptstadt und den Menschen auf dem Land drumherum?
Am Samstag, den 24. Oktober 2015, trafen sich etwa 40 Menschen – Mitglieder von solidarischen Landwirtschaften, Bäuerinnen und Bauern, regionale SaftpresserInnen, LebensmittelretterInnen, Eltern und Kinder, Engagierte und Interessierte in der Freien Waldorfschule Werder/Havel, um gemeinsam an Visionen einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu basteln, Ideen zu entwickeln und deren Umsetzung zu planen. Natürlich wurde nicht nur eifrig diskutiert und genetzwerkt, sondern auch gemeinsam mit dem Kochaktivisten Wam Kat und der Fläming Kitchen regionales Gemüse geschnippelt, gekocht und gespeist.

Ein weiter so ist keine Option!

Alessa Heuser vom INKOTA-netzwerk führte uns den globalen Kontext vor Augen: Die Industrialisierung und Globalisierung unserer Landwirtschaft führen uns in eine Sackgasse. Die natürlichen Lebensgrundlagen wie Boden, Wasser und Biodiversität werden ausgebeutet, das Klima überlastet – gleichzeitig leidet immer noch jeder achte Mensch an Hunger und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Wir brauchen einen radikalen und systemischen Wandel. Aber was heißt das ganz konkret für Werder und Umgebung? 

Erzeuger- und Verbraucher-Perspektiven

Als Einstieg in die Diskussion stellten der Bio-Landwirt Jochen Fritz sowie Udo Tremmel von Slow Food ihre Sicht auf das regionale Ernährungssystem aus Erzeuger- bzw. Verbraucherperspektive dar. Dabei ging es z. B. um die schädlichen Auswirkungen der Tierfabriken in Brandenburg, die verbesserungswürdige Logistik der Vermarktung von Nahrungsmitteln in die Hauptstadt, oder das Potenzial, im landwirtschaftlichen Sektor Lebens- und Arbeitsräume für geflüchtete Menschen zu schaffen.

Initiativen, die den Weg in die Zukunft vorgehen

Insgesamt 13 Akteure zeigten, wie sie Ernährung und Landwirtschaft in und um Werder zukunftsfähiger machen. Dabei lag ein Schwerpunkt auf Vermarktungswegen mit einer stärkeren Verbindung zwischen ErzeugerInnen und VerbraucherInnen. Ob Solidarische Landwirtschaften, „Büffel-Aktien“ oder Online-Direktvermarktung – das Kredo lautete „Gib deinem Bauern die Hand!“ (Zitat Food Assembly). Eine wichtige Rolle spielte auch die Entwicklung des ländlichen Raumes durch den Erhalt einer bäuerlichen Landwirtschaft und Chancen für JunglandwirtInnen, z. B. durch genossenschaftlichen Landerwerb. Und damit die erzeugten Lebensmittel am Ende auf dem Teller und nicht in der Tonne landen, wurden innovative Wege für das Retten von Essen vorgestellt. Um landwirtschaftliche Themen in die Öffentlichkeit und die Politik zu tragen, können Ernährungsräte ein Instrument sein – der zivilgesellschaftliche Berliner Ernährungsrat, der sich derzeit gründet, stellte beim Politischen Suppentopf seine Anliegen vor.

Gemeinschaft Spörgelhof – Solidarische Landwirtschaft

Wir sind ein seit Mai 2014 wachsendes Kollektiv von Menschen, die wissen wollen, wo und wie ihre Lebensmittel wachsen. Gemeinsam mit unseren Gärtnern Mario und Diego probieren wir auf dem Spörgelhof inmitten von Wald und Wiesen nahe dem Hellsee Permakultur und eine solidarische Ökonomie aus. Der Spörgelhof mit seinen ca. 1,1 Hektar Ackerfläche liegt 30 km nordöstlich Berlins bei Lobetal, nahe Bernau.

Stadt-Land.move

m.haberland@posteo.de, timo.kaphengst@posteo.de
Unsere Vision ist: vitale und stabile Regionen in Brandenburg, die darüber hinaus neue Formen der Ökonomie und des Zusammenlebens praktizieren, dabei ressourcenschonend wirtschaften und partizipativ zu Entscheidungen kommen. Unser Ziel ist es, im ländlichen Brandenburg ein sich wirtschaftlich selbst tragendes Zentrum zu erschaffen, das auf vielfältige Art und Weise die Metropole Berlin mit den Städten und Gemeinden Brandenburgs verbindet.

Mosterei Ketzür

Die Mosterei Ketzür ist eine regionale Mosterei aus dem Havelland. Wir produzieren unterschiedliche Säfte und Saftmischgetränke aus 100% regionalen bzw. fair gehandelten Zutaten, wenn möglich in Bio-Qualität. Unsere Säfte vertreiben wir über die Gastronomie und ausgewählte Geschäfte. Weiterhin gehört eine saisonale Lohnmosterei zum Betrieb, die es unseren KundInnen ermöglicht, ihren eigenen Saft aus dem mitgebrachten Obst zu bekommen.

Foodsharing Potsdam

Foodsharing ist eine Bewegung von Menschen, die sich ehrenamtlich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln einsetzen. Auf der Plattform können Essenskörbe angeboten und abgeholt werden. Vor allem wird die Plattform als Netzwerk genutzt, in dem sich tausende Foodsaver organisieren, um in über 1.000 Betrieben Lebensmittel zu retten, sich absprechen, Veranstaltungen organisieren, Aktionen planen und vieles mehr.

Kitchen Square

sarah.wietrzychowski@fh-potsdam.de  
Das Projekt „Kitchen Square“ ist ein studentisches Projekt, das im Sommersemester 2015 entstand. Kitchen Square ist ein Universal-Sortainer für Lastenfahrräder oder Fahrradanhänger, der als Miniatur-Küche einen mobilen Share Point darstellt und unser Anliegen durch die Stadt trägt. Kostenlos für jedermann und -frau zum Download soll das Design mit Bauanleitung als Zuschnitt-Plan oder Fräsmuster zur Verfügung gestellt werden und kann mit Alltagsgegenständen und Standard-Werkzeugen bestückt und nachgebaut werden.

Ökonauten eG

Die Ökonauten eG ist eine ErzeugerInnen-KonsumentInnen-Genossenschaft in Berlin-Brandenburg. Durch die Einlagen unserer Mitglieder sichern wir langfristig Ackerflächen zur Förderung einer kleinstrukturellen Landwirtschaft. Gleichzeitig fördern wir die Produktion von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln aus der Region für unsere Mitglieder.

Freie Waldorfschule Werder/Ernährungskreis

Der Ernährungskreis der Freien Waldorfschule Werder ist ein Zusammenschluss von LehrerInnen und Eltern. In der Schule gibt es Bio-Catering aus Potsdam. 40 bis 50 Personen werden mit saisonalen und regionalen Mahlzeiten versorgt. Gutes Essen soll vorgelebt und ein Bezug zu Essen hergestellt sowie mehr Bewusstsein geschaffen werden.

freiLand CSA

Wir sind eine Gemeinschaft von ca. 40 unterschiedlichen Menschen (community) und beziehen auf solidarischer Basis (supported) Gemüse und Obst von einem Öko-Bauern (agriculture). Das heißt, wir geben dem Bauern einen festen Monatsbeitrag, wofür der Bauer wöchentlich einen Teil seiner Ernte ins freiLand liefert. Alles in allem bedeutet das: kein Preis-Dumping, beste, vielfältige Kultursorten von Gemüse und Obst ohne Chemie und fern von öder Supermarkteinfalt und eine enge Beziehung zur Quelle der eigenen Lebensmittel.

Food Assembly

Food Assembly verbindet die Online-Direktvermarktung hochwertiger regionaler Lebensmittel mit der Schaffung lokaler ErzeugerInnenmärkte, auf denen sich ProduzentInnen und KundInnen begegnen. Food Assembly will die Lebensmittelherstellung und den Handel wieder an die Region anbinden, in denen die Produkte hergestellt und verbraucht werden.

Biohof Werder

Wir erzeugen Eier von derzeit 200 Weidehühnern in Mobilställen auf Obstwiesen. Auf unserer Kirschplantage stehen 1.000 Kirschbäume. Im Naturschutzgebiet „Wolfsbruch“ weiden acht Wasserbüffel und das erste Kalb. Der Hof vermarktet direkt oder über regionale PartnerInnen. Am Biohof können sich die KundInnen mit Genussscheinen, den sogenannten „Büffel-Aktien“ beteiligen.

BUND Brandenburg

www.volksbegehren-massentierhaltung.de
Der BUND Brandenburg startete als Teil des Aktionsbündnisses Agrarwende Berlin-Brandenburg das Volksbegehren „Stoppt Massentierhaltung“. Unser Volksbegehren gegen Massentierhaltung will die Landesregierung zu einem Kurswechsel bewegen. Wir halten die bestehenden Gesetze für unzureichend. 80.000 Unterschriften müssen noch bis 14. Januar 2016 gesammelt werden.

Potsdamer Sauenhain

www.facebook.com/sauenhain
Zwei Quereinsteiger halten in Potsdam derzeit 80 Sauen auf einer ehemaligen Obstplantage. Schweine sind in Deutschland normalerweise ein Massenprodukt – jedoch nicht hier. Pro Jahr sollen 200 Mastschweine unter angenehmen Lebensbedingungen erzeugt und ab Mai 2016 geschlachtet und vermarktet werden. Hierfür wird noch eine Metzgerei gesucht.

Ernährungsrat Berlin

Der Berliner Ernährungsrat ist eine offene Bewegung von Bürgerinnen und Bürgern mit dem Ziel, dem Thema Ernährung und den damit zusammenhängenden Fragen – Ökologie, Nachhaltigkeit, Regionalität, Lebensmittelwirtschaft und -handel, Landwirtschaft, Ernährungsbildung, soziale und globale Gerechtigkeit – in der Region Berlin-Brandenburg mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wir wollen ein übergreifendes Netzwerk in Berlin und Umland bilden, das Positionen, Konzepte und Forderungen entwickelt und diese wirksam in die Öffentlichkeit und letztlich in die Politik bringt.

Aktiv werden! Welches Rezept ernährt Werder und Umgebung in Zukunft?

In der zweiten Tageshälfte waren alle eingeladen, selbst aktiv zu werden. In vier thematischen Kleingruppen wurden Erfahrungen ausgetauscht, Ideen gesammelt und konkrete Schritte für die Zukunft geplant.

1. Kleingruppe: Bodenvergabe

    Was läuft gut?

  • Initiativen wie Ökonauten, Bio Boden Genossenschaft etc.

    Was läuft schlecht?

  • Boden als essentielle Grundlage, aber Landkonzentration weitet sich aus
  • Politik kümmert sich nicht
  • Infrastruktur
  • Bodenerosion
  • Macht- und Marktkonzentration

    Was muss sich ändern?

  • Land vor „Investoren“ sichern
  • Bodenpolitik ändern

    Was können wir konkret tun?

  • Landsicherung durch Sharing-Modelle
  • Finanzstarke KonsumentInnen adressieren
  • LandverkäuferInnen sensibilisieren
  • Abwarten: rückläufiger Trend?

2. Kleingruppe: Logistik und Vermarktung

   Was läuft gut?

  • Food Assembly
  • Markthalle Neun
  • Obergudt
  • Regionalladen Brandenburg
  • Abholstellen
  • Hofläden

    Was läuft schlecht?

  • aufwendige Anlieferung und Anwesenheit bei der Food Assembly
  • in Brandenburg wenig Interesse an Solidarischen Landwirtschaften, nur Berlin als Markt
  • Aufwand und Transportkosten für Fahrt nach Berlin
  • kleine Läden gehen kaputt
  • nur „bewusste“ KundInnen werden erreicht

    Was muss sich ändern?

  • Wertschätzung von Lebensmitteln
  • höhere Gewinnmargen für ErzeugerInnen
  • Erschwinglichkeit von Bio-Produkten
  • Orte zum Verarbeiten
  • Kühlketten einhalten
  • Lieferketten gemeinsam organisieren
  • keine Leerfahrten

    Was können wir konkret tun?

  • gemeinsame Lieferungen
  • Cluster bilden: mehrere KundInnen
  • genossenschaftliche Logistikunternehmen?
  • gemeinsame Regionalläden, Lager?
  • Treffen, um Logistikkooperationen zu vereinbaren (René Tettenborn – Ökonauten)

3. Kleingruppe: Geflüchtete

    Was läuft gut?

  • internationale Gärten
  • Mitarbeit auf dem Spörgelhof
  • kennenlernen der Lebenssituation
  • Zusammenarbeit Foodsharing und Flüchtlingsinitiativen

    Was läuft schlecht?

  • Projekte gehen oft an Lebenswelt vorbei
  • Menschen sind traumatisiert
  • keine Arbeitserlaubnis
  • Herausforderung: Sprachkenntnisse und Kommunikation

    Was muss sich ändern?

  • Gemeinden um Brachflächen zum Gärtnern bitten
  • Räume schaffen, in denen Flüchtlinge zu Wort kommen
  • Thema Landwirtschaft in lokale Willkommensinitiative Werder integrieren

    Was können wir konkret tun?

  • SoLaWis mit Flüchtlingsinitiativen verbinden z. B. Spörgelhof
  • stärkere Vernetzung zwischen Initiativen

4. Kleingruppe: Ernährungsinitiative Werder

    Was läuft gut?

  • Bio-Bestellgemeinschaft Schule/privat
  • Versorgergarten mit Kasse des Vertrauens
  • Kooperation mit Biohof Werder

    Was läuft schlecht?

  • Strukturen sind z. T. kompliziert und voneinander getrennt

    Was muss sich ändern?

  • Kreisläufe von Produktion bis zur Entsorgung des Schulessens aufbauen
  • Erweiterung der Einkaufsgemeinschaft mit regionalen Produkten
  • Zusammenarbeit und Kommunikation der Akteure

    Was können wir konkret tun?

  • Zusammenarbeit von Schule und Uferwerk

Wie geht’s weiter:

  • René Tettenborn von den Ökonauten wird ein Treffen für den Aufbau einer Logistikkooperation einberufen. Kontakt: rtettenborn@oekonauten-eg.de
  • Rahel Volz will im Rahmen des Netzwerks Neue Nachbarn zum Themenkomplex Geflüchtete & Solidarische Landwirtschaft arbeiten und freut sich über MitstreiterInnen. Kontakt: rahel.volz@berlin.de
  • Timo Kaphengst von Stadt-Land.move und Alessa Heuser vom INKOTA-netzwerk möchten zukünftig zum Thema Landkonzentration in Deutschland weiterarbeiten. Kontakt: timo.kaphengst@posteo.de, heuser@inkota.de

Der Politische Suppentopf kam gut an – einige persönliche Highlights von Teilnehmenden:

 „Das Essen!“ - „Persönliche Kontakte zu wichtigen Initiativen!“ - „Die Fahrradküche von Kitchen Square!“ - „Die Gruppendiskussion und konkrete Schritte!“